Tim Lange von Casenio

“Wesentlich geändert hat sich nur die Vertriebsstrategie”

Die meisten Menschen wollen lange in den eigenen Wänden leben. casenio entwickelt dafür Assistenzlösungen, die Angehörige in Gefahrensituationen warnt. Im Gründer-Kurzinterview spricht Gründer Tim Lange über seine Vertriebsstrategie und AAL-Technologie.
“Wesentlich geändert hat sich nur die Vertriebsstrategie”
Dienstag, 5. Januar 2016VonChristina Cassala

Der Wunsch ist bei den meisten Menschen sehr groß, auch im Alter noch möglichst lange und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu können. Das Berliner casenio entwickelt dafür sensorbasierte Assistenzlösungen, die Angehörige in Gefahrensituationen warnt und an die Medikamenteneinnahme erinnert. Im Gründer-Kurzinterview spricht GRünder Tim Lange über seine Distributionspolitik und Vertriebsstrategie, demografische Entwicklung und AAL-Technologie.

Welche Idee steckt hinter Ihrem Start-up?
Wir wollen, dass jeder möglichst lange und komfortabel zuhause leben kann. Und wir wollen, dass Familien sicher sein können, dass es ihren Angehörigen gut geht. Dafür haben wir casenio entwickelt. Es erkennt Gefahrensituationen – zum Beispiel, wenn der Elektroherd beim Verlassen des Hauses noch an ist. Es macht den Bewohner darauf aufmerksam und benachrichtigt bei Bedarf zuvor festgelegte Kontaktpersonen. Zudem erinnert das Gerät an wichtige Dinge wie die Medikamenteneinnahme.

Die Initialzündung für die Produktidee lieferte die Erzählung eines unserer Kollegen beim IT-Systemhaus Die Netz-Werker in Berlin – heute das Mutterunternehmen von casenio: Seine Oma war zuhause gestürzt und lag viele Stunden hilflos in der Wohnung, denn niemand hatte von dem Sturz etwas mitbekommen – ihren Notruf-Knopf hatte sie gerade nicht dabei. Wir beschlossen ein System zu entwickeln, das in genau solchen Situationen selbstständig erkennt, dass etwas nicht stimmt – und das unkompliziert in der Handhabung und günstig im Preis ist.

Wie sehr bzw. in welchen Punkten hat sich ihr Konzept von der ersten Idee bis zur Gründung verändert?
Wesentlich geändert hat sich eigentlich nur die Vertriebsstrategie. Ursprünglich wollten wir direkt an die Endkunden herantreten. Mittlerweile hat es sich aber gezeigt, dass es für uns sinnvoller ist, einen zweistufigen Vertriebsweg zu fahren. Unsere Distributionspolitik und Vertriebsstrategie konzentrieren wir mittlerweile in erster Linie auf Multiplikatoren im B2B-Umfeld.

Hintergrund ist, dass unsere Preispolitik schlanke Herstellungs-, Vertriebs- und Kundenbetreuungsprozesse erfordert. Das funktioniert nicht, wenn man viele private Einzelkunden beliefern und betreuen muss. Unsere Multiplikatoren sind Partner aus dem Bereich Wohnungswirtschaft/Betreutes Wohnen, Sanitätshaus-/Fachhandel sowie Versicherungen, Energieversorger und Architekten.

Wer sind Ihre Mitbewerber und wie grenzen Sie sich von ihnen ab?
Aufgrund der demografischen Entwicklung und der guten Aussichten für intelligente technische Alltagshilfen nimmt die Zahl unserer Mitbewerber am Markt kontinuierlich zu. Dies schätzen wir für uns aber unter dem Strich nicht als kritisch ein, denn wir sehen uns im Marktvergleich sehr gut positioniert. Zudem sorgen mehr Anbieter von Smart-Home-Systemen auch für mehr Marktdurchdringung – es wird sozusagen immer „normaler“, technische Alltagshilfen zu nutzen.

Ein wesentlicher Punkt, der uns von unseren Mitbewerbern unterscheidet, ist die Inter-Operabilität unseres Systems. Fast alle anderen Smart-Home-Lösungen am Markt stellen Insellösungen dar. Dadurch zwingen sie den Benutzer zu wählen, ob er entweder mehrere Systeme und Fernbedienungen parallel nutzen oder auf einen einzelnen Hersteller setzen will und damit riskiert, ggf. gewünschte Funktionen nicht nutzen zu können.

Bei casenio sorgen offene Schnittstellen dafür, dass das System in bestehende AAL- und Smart-Home-Systeme integriert werden kann. Dadurch kann es nicht nur sinnvoll im Haushalt älterer Menschen eingesetzt werden, sondern wird auch von einer Zielgruppe genutzt, die sich in erster Linie für Smart-Home-Lösungen interessiert. Zudem ist casenio modular aufgebaut und wächst mit dem Nutzer und seinen sich im Laufe der Jahre ändernden Ansprüchen.

Was ist der entscheidendste Faktor, damit Ihr Start-up den Durchbruch schafft?
Wir wollen uns bis Ende 2016 am deutschen Markt etablieren – casenio soll ein bekanntes Produkt werden. Entscheidend dafür ist in erster Linie die Nutzerfreundlichkeit des Systems: Bei unseren Marktforschungsaktivitäten hat sich gezeigt, dass insbesondere AAL-Technologien nur dann erfolgreich sein können, wenn sie intuitiv zu bedienen sind.

Wie wollen Sie Geld verdienen und wann schreiben Sie schwarze Zahlen?
Unser Geschäftsmodell basiert weniger auf dem Verkauf der Hardware, als vielmehr auf einer monatlichen Nutzungsgebühr für den Betrieb des Systems: Diese beträgt ab 20 Euro pro Monat. Die Bezahlung erfolgt über ein Prepaid-System: Der Nutzer erwirbt eine Guthabenkarte für den Betrieb des Systems für einen, drei, zwölf oder 24 Monate und kann sein Gerät entsprechend aufladen.

Die Verkaufspreise für die Geräte sind dagegen möglichst niedrig gehalten und liegen nahe am Einkaufspreis. Konkret heißt das, dass der Einstiegspreis für das casenio-System für eine 2- bis 3-Zimmer Wohnung bei unter 500 Euro liegt.

Welche Märkte wollen Sie mittel- und langfristig erobern?
Unser Schwerpunkt liegt zunächst auf dem deutschen Markt. Allerdings haben wir bereits jetzt auch andere europäische Länder im Visier und stehen zum Teil in Verhandlungen mit Partnern vor Ort. Konkret planen wir für die kommenden Jahre den Markteintritt in Großbritannien, den Niederlanden sowie Österreich/Schweiz.

Welche Meilensteine wollen Sie in den kommenden zwölf Monaten auf jeden Fall erreichen?
Zu unseren kurzfristigen Vertriebszielen gehört der Verkauf von ca. 2.000 bis 2.500 Stationen in Deutschland. Dazu soll der Verkauf von einigen hundert Stationen im europäischen Ausland kommen.

Im Fokus: Weitere Interviews mit jungen Gründern gibt es im Special Gründerinterviews

Zur Person:
Tim Lange ist Vorstand der Berliner casenio AG. Das Unternehmen entwickelt und vertreibt das sensorbasierte Hilfe- und Komfortsystem casenio, das älteren Menschen ein selbstbestimmteres, längeres Verbleiben zuhause ermöglicht. Die Netz-Werker AG ist ein Berliner IT-Systemhaus, das 1995 von Tim Lange gegründet wurde und dessen Vorstand er bis heute ist. Im Frühjahr 2015 ist die im Jahr 2014 ausgegründete casenio AG mit ihrem Hilfe- & Komfortsystem casenio am Markt gestartet.

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.