Stationärer Modehandel goes digital

Phizzard fusioniert E-Commerce mit traditionellem Handel

Das Berliner Start-up Phizzard hat eine digitale POS-Lösung entwickelt, die Kunden im stationären Handel bei Anprobe und Auswahl von Bekleidung und Schuhen unterstützt: Kunden können auf dem Touchscreen checken, welche Größen des Wunschartikels vorrätig sind und bekommen Cross-Selling-Tipps.
Phizzard fusioniert E-Commerce mit traditionellem Handel
Freitag, 19. Dezember 2014VonChrista Goede

Rein in die Umkleidekabine, ausziehen, anziehen, passt nicht. Wieder ausziehen, anziehen, raus aus der Umkleidekabine und andere Größe suchen. Wieder rein in die Umkleidekabine … und so weiter. So sieht es aus, das Schicksal von uns Menschen, wenn wir im stationären Handel einkaufen und uns kein Verkäufer zur Verfügung steht. Wohl dem, der einen Freund dabei hat, der andere Artikel vorschlägt oder die Wunschhose eine Nummer größer in die Kabine bringt.

Multifunktionaler Touchscreen mit viel Service

Der praktische Touchscreen von Phizzard könnte diese Zustände nun beenden: Der Kunde scannt den Barcode des Artikels, bewertet die Größe als zu klein oder zu groß und bekommt alle noch im Laden verfügbaren Größen angezeigt – inklusive Größenvorschlag. Der Kunde wählt auf dem Display den gewünschten Artikel aus, der Verkäufer wird über ein Tablet informiert und im Anschluss bringt er die Auswahl direkt in die Kabine – was für ein Service! Außerdem finden die Kunden auf dem 47 cm großen Bildschirm Informationen über ähnliche oder passende Artikel und bekommen weitere Produktempfehlungen.

Der Bildschirm

Umsatzsteigerung inklusive

Auch die Händler profitieren von Phizzard und dem Ansatz, bewährte Methoden aus dem eCommerce in den stationären Handel einzuführen: Die Digitalisierung des Auswahlprozesses, die Passgenauigkeit der Artikel und die inspirierenden Empfehlungen in der Wartezeit erhöhen die Kaufwahrscheinlichkeit und steigern so den Umsatz.

Noch dazu liefert das System wertvolles Datenmaterial, mit dem die geschäftlichen Abläufe optimiert werden können. Mit der Besucher-Zählung und der -Prognose, die zum Beispiel auf der aktuellen Wettervorhersage beruht, lassen sich die Effizienz der Shop- und Schaufenstergestaltung auswerten oder Öffnungszeiten besser planen. Der Wareneinkauf erhält valide Daten, welche Artikel oder Marken besonders häufig anprobiert wurden, aber nicht passten – so kann das Angebot weiter optimiert werden. Außerdem können A/B-Tests den Erfolg oder Misserfolg verschiedener Kampagnen oder Angebote sichtbar machen, denn an den Touchscreens können individuelle Rabatte angeboten werden.

Integrierte Lösungen mit Ausbaupotenzial

Phizzard entwickelt integrierte Lösungen: Hardware und Gehäuse sind teilweise Eigenentwicklungen. Bei der Standard-Hardware wie zum Beispiel dem Tablet für die Verkäufer beschränkt sich das Unternehmen auf einen Gerätetyp, um die User Experience vollständig kontrollieren und damit die Fehlerwahrscheinlichkeit minimieren zu können. Schöner Nebeneffekt: Auch bei einem größeren Rollout ist der Support unkompliziert.

Die Umkleidekabinenlösung ist seit Juli 2014 im Einsatz. Noch Zukunftsmusik hingegen ist die SB-Bezahlung am Touchscreen, doch mit Phizzard könnten schon ab dem ersten Quartal 2015 die lästigen Wartezeiten an den Kassen entfallen. Die Monetarisierung erfolgt über eine monatliche Gebühr, die die Händler für diese Lösung zahlen – deren Höhe ist von der Anzahl der eingesetzten Geräte abhängig. Los geht’s bei 399 Euro netto für den ersten Touchscreen und 29 Euro netto für ein Tablet, das umfassende Reporting schlägt mit 149 Euro nette zu Buche.

Die Vision der Gründer: Herz und Kopf im Berufsalltag verbinden

Hinter Phizzard und der spannenden Geschäftsidee stecken vier Männer, die alle Erfahrungen im Onlinehandel mit Kleidung mitbringen: Peer Hohn (38, 2,5 Jahre CFO und CIO eines profitablen Streetwear-Onlinehändlers, 6 Jahre Leiter zentrales Controlling im Finanzbereich), Stefan Voß (31, früher Leiter Controlling und Projekte bei einem Onlinehändler, Webshop-Programmierer und Vertriebsprofi), Martin Vetter (26, Datenbank- und Business-Intelligence-Entwickler) und Jan Schneider (28, Webshop-/Frontend-Entwickler mit Erfahrungen bei der Einführung von ERP-Systemen) hatten die Idee, den sensiblen Anprobevorgang im stationären Geschäft mit digitalen Mitteln zu optimieren. Der reine Onlinehandel war den Gründern zu daten- und kopfgetrieben, sie suchen die Verbindung zwischen Kopf und Herz im beruflichen Alltag. Diese Verbindung fanden sie im „Handel 4.0“ – so nennen die Vier den stationären Handel, der emotionale Shoppingerlebnisse bietet, die mit Phizzard digital unterstützt und damit transparent, auswertbar und einfach optimierbar werden.

Das Team

Bisher lief die Gründung über Bootstrapping – erst, wenn im neuen Jahr erste Verträge mit großen Händlern vorliegen, soll eine neue Finanzierungsrunde gestartet werden, die dann auch offen ist für „fremdes“ Kapital. 2015 wird eine Lösung für Schuhgeschäfte ins Portfolio aufgenommen und es werden weitere Kooperationen vorbereitet. Bisher gibt es Phizzard nur auf Deutsch, die Lösung ist aber vorbereitet auf den Einsatz weiterer Sprachen und Währungen.

Sympathische Gründer mit Sinn für Humor

Peer, Stefan, Martin und Jan entsprechen ihrer eigenen Meinung nach nicht dem Klischee des auf vielen Networking-Events feiernden Gründers: Sie sehen sich eher als „Gründerväter“ – schließlich wurden Peer und Stefan während der Gründungsphase Väter und üben sich nun darin, die Balance zu halten zwischen Start-up und Familienleben. Und so wundert es mich nicht, dass es im Phizzard-Team seit Monaten ein geflügeltes Wort gibt: „Wir müssten mal wieder Sport machen.“ ;-)

Noch ein weiterer Sympathiepunkt: Peer erzählte mir im Interview offen davon, wie das Team in der Anfangsphase etwas ganz Wesentliches aus den Augen verloren hatte – nämlich die Sicht der Kunden auf das Produkt. Und das kam so: Die Vier waren total glücklich, als der erste Prototyp pünktlich im Store in der Umkleidekabine installiert werden konnte und technisch einwandfrei lief. Doch schon am Ende des ersten Tages stellten sie fest, dass nur ein geringer Teil der Kunden das Gerät benutzte. Das Team war total frustriert und grübelte: Warum war das so? Erst eine Kundenbefragung brachte Licht ins Dunkel: Die Kunden erkannten nicht, welche Möglichkeiten ihnen der Touchscreen bietet. Denn auf dem weißen Startbildschirm stand nur „Einfach scannen und loslegen“ – und so dachten viele Kunden, sie könnten dort lediglich den Preis eines Produkts erfahren. Heute zeigt der Startbildschirm die Features von Phizzard einzeln und verständlich:

Der Screen

Fotos und Screenshots: Phizzard

Christa Goede

Christa Goede steckt viel Herzblut und noch viel mehr Expertenwissen in digitale Unternehmensauftritte: Mit individuellen Texten und Konzepten gestaltet sie Websites und Social Media-Auftritte authentisch. Ihre Erfahrung und ihr Wissen als Texterin, Konzepterin, Social Media-Managerin und Bloggerin teilt sie in Blogs oder live in Workshops und Vorträgen.