15 Fragen an A. Reichhuber (kindsstoff)

“Die Welt ist voll von guten Ideen und tollem Talent”

Jeden Freitag beantwortet ein Gründer oder eine Gründerin unseren standardisierten Fragebogen. Der Fragenkatalog lebt von der Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Fragen, die alle Gründerinnen und Gründer beantworten müssen – diesmal antwortet Alexander Reichhuber von kindsstoff.
“Die Welt ist voll von guten Ideen und tollem Talent”
Freitag, 28. Februar 2014VonChristina Cassala

Was bedeutet es Ihnen, Ihr eigener Chef zu sein?
Mein eigener Chef zu sein, war für mich nicht die Hauptmotivation ein eigenes Unternehmen zu gründen. Es ging mir vielmehr darum, ein Thema, das mir am Herzen liegt, eigenverantwortlich und ohne Reibungsverluste, wie politische Spielereien oder bürokratische Ineffizienzen, treiben und am Markt positionieren zu können.

Bei welcher Gelegenheit kam Ihnen die Idee zu Ihrem Start-up?
Die Idee zu kindsstoff kam uns sprichwörtlich „über Nacht“. Sebastian, Robert und ich hatten schon in unserem früheren Beruf zusammen gearbeitet und Sebastian kam eines Abends von seinem Lehrauftrag im Bereich „nachhaltige Geschäftsmodelle“ mit den Ergebnissen eines Studententeams zum Thema „Eco-Fashion“ ins Büro zurück. Daraus entstand eine Diskussion, ob die nächste grüne Welle in der Textilindustrie stattinden wird. Zwar ist heute „Bio“ nur ein Teilaspekt von kindsstoff, jedoch wurde mit dieser Diskussion der Grundstein gelegt. Entstanden ist daraus die erste Online-Only Marke für Kindermode, die zwei zentrale Probleme von Eltern – „Qualität ist oft sehr teuer“ und „Kinder wachsen, ihre Kleidung nicht“ – durch ein vertikal integriertes (r)e-Commerce-Modell löst.

Woher stammte das Kapital für Ihr Unternehmen?
Die ersten Monate haben wir aus eigenen Mitteln finanziert. Darauf folgte eine erste Seed-Finanzierung mit Business Angeln, um die erste Kollektion auf den Markt zu bringen. Auf den ersten Erfolgen aufbauend haben wir im Frühjahr 2013 eine zweite größere Finanzierungsrunde abgeschlossen. Trotz den externen Kapitalmitteln sind wir aber immer sehr schlank unterwegs gewesen und haben beispielsweise als Geschäftsführer über zwei Jahre auf jegliches Gehalt verzichtet. Dies hat uns den notwendigen zeitlichen Spielraum verschafft, die Marke nachhaltig im Markt zu positionieren.

Was waren bei der Gründung Ihres Start-ups die größten Stolpersteine?
Die größte Herausforderung war und ist, eine Marke aufzubauen und gleichzeitig zu skalieren. Eigentlich skalieren Onlineshops mit bekannten Marken über bekannte Mechanismen, wie bspw. Performance Marketing. Wir haben die Problematik, dass viele Kontakte Erstkontakte mit der Marke und dem Shop sind. Ähnlich wie bei einem Date, baut man nicht gleich Vertrauen auf und braucht mehrere Kontaktpunkte bis zur „Transaktion“. Für uns ist daher die richtige Begleitung der Customer Journey ein entscheidender Erfolgsfaktor. Damit verbunden ist, die Herausforderung hierfür die notwendigen Kapitalmittel zu bekommen. Viele Kapitalgeber scheuen das anfängliche Markenrisiko und den Innovationsgrad. Gleichzeitig ermöglicht aber unser Eigenmarkenansatz aufgrund der Exklusivität und der höheren Identifkation mit dem Unternehmen sich mittelfristig dem klassischen Rattenrennen um Größe und dem vorherrschenden Preiswettkampf zu entziehen.

Was würden Sie rückblickend in der Gründungsphase anders machen?
Auf jeden Fall mehr experimentieren. Ein Unternehmen entsteht nicht auf dem Reisbrett und das gilt bei kindsstoff in besonders hohem Maße. Wir sind kein Copycat und zudem eine neue Marke. Hierfür gibt es keine Blaupause. Wahrscheinlich würde ich heute drei bis fünf Marken mit unterschiedlichem „USP“ und „Look & Feel“ schlank, dafür aber parallel in den Markt bringen, auf Basis erster Kundenfeedbacks nicht funktionierende Konzepte eliminieren und so das bestmögliche Konzept für den Kunden ableiten. Wir sind sehr perfektionistisch gestartet und hatten dabei in Teilen auch Glück, dass die Marke so gut angekommen ist. Im Nachhinein ist es gut ausgegangen, das damit verbundene Risiko hätte man aber reduzieren können.

Jedes Start-up muss bekannt werden. Welche Marketingspielart ist für Sie besonders wichtig?
Wie bereits erwähnt ist kindsstoff eine Marke und ein Onlineshop zugleich. Wir sind sicherlich kein „Adwords-Game“. Das bedingt, dass unser Marketing Funnel dort beginnt, wo auch das Marketing von Markenherstellern ansetzt, nämlich im Aufbau einer Markenbekanntheit. Um diese mit vertretbaren Kosten zu steigern, bedienen wir uns am Anfang der Customer Journey insbesondere Kanälen, wie PR, Social Media und Aktionen in der realen Welt. Erst wenn der Kunde sich sehr nah am eigentlichen Kauf be?ndet, kommen klassische Performance-Marketing-Kanäle ins Spiel. Hierbei funktionieren bei uns jegliche Art von Retargeting und überraschenderweise auch Displays sehr gut.

Welche Person hat Sie bei der Gründung besonders unterstützt?
Fachlich und im Gründungsalltag meine beiden Mitgründer Sebastian und Robert sowie unsere Investoren, die nicht nur Geld sondern auch jede Menge Passion und Kompetenz in kindsstoff eingebracht haben. Privat meine Familie. Ich glaube ohne familiären Rückhalt ist eine Gründung unmöglich, da eine Selbstständigkeit auch immer mit Unsicherheiten und Entbehrungen einhergeht und immer von der gesamten Familie getragen werden muss.

Welchen Tipp geben Sie anderen Gründern mit auf den Weg?
Seid schnell und experimentierfreudig. Kommt mit möglichst wenig Mitteln schnell an den Markt, um gemeinsam mit den ersten Kunden lernen und optimieren zu können. Habt Mut Dinge zu hinterfragen, denn nur wer ständig einzelne Aspekte dem harten Kundenfeedback aussetzt, glaubt wirklich an sein Model und kann lernen.

Sie treffen den Bundeswirtschaftsminister – was würden Sie sich für den Gründungsstandort Deutschland von ihm wünschen?
Ein Thema, das der Bundeswirtschaftsminister anstoßen könnte, wäre sicherlich der Abbau der Formalien und Regularien, mit denen sich ein Gründer hierzulande herumschlagen muss. Das beginnt schon mit der fragwürdigen Auswahl der förderfähigen Unternehmensklassen beim Investitionszuschuss Wagniskapital. Allgemein würde ich mich über eine unternehmerfreundlichere Kultur in Deutschland, dem Land des Mittelstands, freuen. Hierzu gehört auch, dass Scheitern gesellschaftlich akzeptiert ist.

Was würden Sie berufich machen, wenn Sie kein Start-up gegründet hätten?
Ich hoffe, ich wäre in einem startupnahen Umfeld tätig. In einem eigenen Start-up wohl kaum, da kindsstoff zum aktuellen Zeitpunkt immer noch die erste Wahl für eine eigene Gründung ist. Daher wohl eher in einer gestaltenden Rolle in einem anderen Start-up oder auf der anderen Seite des Tisches bei einem VC oder Company Builder. Es reizt mich, erfolgsversprechende Konzepte zu finden und bei den wichtigen ersten Schritten maßgeblich
zu unterstützen. Die Welt ist voll von guten Ideen und tollem Talent. Ein Begleiter einer dieser sein zu können, wäre ausschlaggebend für meine Berufswahl.

Bei welchem deutschen Start-up würden Sie gerne mal Mäuschen spielen?
Für kindsstoff wäre sicherlich ein Blick hinter die Kulissen von Warby Parker – für mich momentan international die erfolgreichste Online-Only Marke – sehr lehrreich. Für den deutschen Markt würde ich auch gerne für kindsstoff Mäuschen bei Urbanara spielen. Unabhängig von kindsstoff fände ich ein Gespräch mit Ijad Madisch, dem Gründer von ResearchGate, sehr spannend.

Sie dürften eine Zeitreise unternehmen: In welche Epoche reisen Sie?
Es gibt zahlreiche historische Ereignisse bei denen man gerne Zeitzeuge gewesen wäre. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen, müsste ich aber wahrscheinlich nicht lange reisen. Ich würde mir das Jahr 1999 aussuchen. Man hätte die verrückten aber auch extrem lehrreichen Jahre des Neuen Markts mitmachen können und hätte auf Basis der gemachten Erfahrungen in den letzten Jahren sicherlich neben kindsstoff noch einige andere tollen Geschäftsmodelle erfolgreich in den Markt bringen können. In der Hinsicht bin ich leider ein Spätzünder.

Sie haben eine Million Euro zur persönlichen Verfügung: Was machen Sie mit dem ganzen Geld?
Einen Teil würde ich auf jeden Fall in kindsstoff stecken. Für eine neue Marke ist Bekanntheit und Reichweite das Wichtigste und bei aller Viralität ist hierbei meist Geld sehr hilfreich. Einen weiteren Teil würde ich in ein bis zwei weitere Ideen, die im Hinterkopf herumschwirren, investieren.
Das verbleibende Geld würde ich in die Familie „investieren“, die in den letzten 3 Jahren aufgrund der Gründung sehr viele Entbehrungen mitmachen musste.

Wie verbringen Sie einen schönen Sonntag?
Mit meiner Frau und meinem Sohn. Solange ausreichend Zeit für einander vorhanden ist, ist die Aktivität fast schon nebensächlich. Ein akutes Vater-Sohn-Projekt ist momentan die Weitergabe des alpinen Talents.

Mit wem würden Sie sich gerne einmal auf einen Kaffee oder ein Bier verabreden?
Wenn es um die Verrücktheit des e-Commerce geht, wäre ein Gespräch mit Ernst Malmsten bestimmt ein netter Zeitvertreib und abendfüllend unterhaltsam. Ansonsten mit jedem der eine gute Idee hat und den Austausch sucht.

Im Fokus: Weitere Fragebögen in unserem großen Themenschwerpunkt 15 Fragen an

Zur Person:
2011 gründete Dr. Alexander Reichhuber gemeinsam mit Sebastian Schmöger und Robert Rebholz kindsstoff. Zuvor war er als Projektleiter bei der Strategieberatung A.T. Kearney tätig. Dort beriet er u.a. führende Konsumgüterhesteller und begleitete für zwei Jahre die Expansionsstrategie eines führenden Multi-Channel-Händlers. An der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat Reichhuber mehrere Lehraufträge inne, u.a. im Bereich Retail Management mit dem Themenschwerpunkt e-Commerce.

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Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.