Offline! „Wir haben ein totes Pferd geritten“ – Michael Eisler von Wappwolf

Leider hätten nur zwei von zehn Leuten damals verstanden, was Wappwolf ist, sagt Gründer Michael Eisler heute selbstkritisch. Nach dem Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens wagte er noch einmal den Sprung und gründete ein […]
Offline! „Wir haben ein totes Pferd geritten“ – Michael Eisler von Wappwolf
Dienstag, 9. Juli 2013VonYvonne Ortmann

Leider hätten nur zwei von zehn Leuten damals verstanden, was Wappwolf ist, sagt Gründer Michael Eisler heute selbstkritisch. Nach dem Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens wagte er noch einmal den Sprung und gründete ein neues Start-up – es scheiterte. Heute ist Eisler ärmer als vorher, seine Zukunft ist offen, aber er ist glücklich. Seine österreichische Heimat hat er vorerst gegen das Silicon Valley eingetauscht.

„Nur zwei von zehn Leuten haben unser Produkt verstanden“

Wenn man die Geschichten erfolgreicher Gründer hört, klingen sie normalerweise so: ein- bis mehrmals gescheitert, dann kam der Durchbruch. Bei Michael Eisler war es andersrum. Vor zwölf Jahren gründete der damals 20-Jährige das Unternehmen DIG.at mit, das heute zu den österreichischen Marktführern im Bereich elektronischer Datenaustausch gehört. Dann kam der Punkt, an dem ihm das zu langweilig wurde: „Unsere Firma wuchs jährlich um 30 %. Aber ich wusste, dass wir über diesen Prozentsatz nie hinauskommen würden.“

Das Leiten eines etablierten Unternehmens reizte Eisler nicht mehr, er wollte nochmal von vorne beginnen. Seine Idee war, im selben Bereich ein Start-up aufzubauen, das sich aber mehr an Techies richtet und keine B2B-Lösung ist. Wappwolf sollte eine Saas-Plattform sein, auf der Programmierer über eine Schnittstelle einzelne Workflows als Modul zur Verfügung stellen können. So sollten frei definierbare Arbeitsabläufe geschaffen werden wie zum Beispiel das Umwandeln von Word-Dokumenten in PDFs. Die Gründer starteten mit einem Programmiergerüst und hofften, viele Entwickler zu finden, die darauf aufsetzen würden. Doch die Begeisterung blieb aus. Sie hätten viel Viral-Marketing gemacht, sich aber nicht genug um die Entwickler gekümmert, erklärt Eisler rückblickend und fragt sich, warum sie nicht lieber zahlreiche Hackathons besucht haben, statt wie verrückt die Marketing-Trommel zu rühren. Auch sei ihr Produkt nicht verständlich genug gewesen, nur zwei von zehn Leuten hätten es verstanden, „letztlich konnten wir es selbst nicht richtig auf den Punkt bringen“.

Es folgten mehrere Entwicklungs-Zyklen, ein neues Design und schließlich eine komplette Umorientierung: Das Team verwarf die Idee automatisierter Abläufe und setzte stattdessen auf manuelle „Wenn-Dann“-Abläufe. In einem Webstore fanden Nutzer nun zahlreiche Funktionen vor, mit denen sie Abläufe selbst zusammenstellen und bei sich einbinden konnten. Zwar wuchs die User-Schar nach dem Relaunch an, aber der durchschlagende Erfolg blieb aus.

Der Durchbruch kam dann auf dem Nebengleis: Als Showcase für Wappwolf programmierte das Team den „Dropbox Automator“. Er sollte zeigen, was möglich ist und anderen Entwicklern als Anregung dienen. Mit dem Automator trafen Eisler und sein Team 2011 einen Nerv, denn Dropbox wurde gerade gehypted und sie gehörten zu den ersten, die ein leicht anwendbares Produkt darauf aufbauten. „Es gab eine riesige Medienwelle, innerhalb von 72 Stunden hatten wir 15.000 Nutzer rund um den Erdball, kurz darauf waren es 100.000“, erinnert sich Eisler. Das Potential schien riesig, das österreichische Team konzentrierte sich nun ganz auf den Automator und wollte dasselbe Produkt auch für Facebook und Google bauen. Doch auch hier gelang nach einem anfänglichen Hype der große Durchbruch nicht.

Wichtige Erkenntnisse im Silicon Valley

Wenn Eisler heute über diese Zeit spricht, erzählt er von verschiedenen „psychologischen Phasen“: Eine „euphorische, ja fast größenwahnsinnige“ Phase, nachdem der Dropbox Automator so unerwartet abging, auf die dann eine Phase des Verweigerns und Nicht-Wahrhaben-Wollens folgte, als das Wachstum nicht wie erhofft weiterging. „Wir haben uns die Zahlen schöngeredet und ein totes Pferd geritten. Dann holt man sich Berater hinzu, die einem ebenfalls erklären, wie man tote Pferde reitet.“ Im Sommer 2012 sickerte die Einsicht durch, dass es wohl nichts mehr werden würde. Doch statt aufzugeben, keimte trotzige Hoffnung auf: Eisler packte seine Sachen und siedelte samt Familie ins Silicon Valley über. Dort nahm er am Programm des Startup-Inkubators blackbox (www.blackbox.vc) teil, der gezielt europäische Gründer ins Valley holt, um sie mit den Begebenheiten dort vertraut zu machen und weiterbringende Kontakte zu vermitteln. Während Eisler vertiefte Einblicke in die Startup-Kultur im Silicon Valley bekam, brach die Realität zu ihm durch und mit ihr die Erkenntnis, dass er Wappwolf ganz aufgeben muss und etwas neues beginnen.

Das Neue war iBeam.it (www.ibeam.it), ein Produkt, das sich stärker als Wappwolf und der Automator an „normale“ Nutzer richten sollte. Diese können mit dem Dienst ihre Fotos und Daten auch solchen Menschen leicht zugänglich machen, die nicht bei einem entsprechenden Dienst wie Instagram, Facebook oder Dropbox registriert sind. Dieses Mal seien es neun von zehn Menschen gewesen, die etwas mit dem Produkt anfangen konnten, sagt Eisler. Erfolgreich ist es trotzdem nicht geworden, aus verschiedenen Gründen, wie der Österreicher aufzählt, manche davon sehr selbstkritisch: Aufgrund von Gelddruck hätten sie nicht lange genug recherchiert sondern gleich losgebaut, seien in alte Verhaltensmuster gefallen. Sie hätten nicht begriffen, dass sie zwar einen Schmerz lösen, dieser aber nicht groß genug sei, damit sich Nutzer bei einem neuen System anmelden. Und dass sie eine Plattform präsentiert hätten statt eines konkreten Use Cases, der jedem sofort einleuchtet.

„Arbeit muss wie ein Spiel sein“

An Eislers Geschichte wird deutlich, wie wichtig für Gründer ein starkes Netzwerk im Hintergrund ist, das sowohl Erfolg als auch Misserfolg mitträgt. Bei Eisler ist dies in erster Linie seine Frau, die damit umgehen konnte, dass er trotz eines funktionierenden Unternehmens und zwei Kindern mit einem neuen Start-up loslegte, das Geld aus dem Verkauf der ersten Firma hineininvestierte und schließlich mit der gesamten Familie ins Silicon Valley umsiedelte. Seit über 20 Jahren ist der 32-Jährige mit der selbstständigen Ergotherapeutin zusammen, damals waren sie 13: „Wir sind zusammen erwachsen geworden.“ Nach einiger Zeit des Überlegens sei auch sie zum Schluss gekommen, dass das Übersiedeln ins Silicon Valley der richtige Schritt ist. Vor ihr wie auch überhaupt vor seiner Großfamilie, die zum Teil mit in Wappwolf investiert hat, musste er sich nie dafür rechtfertigen, dass es nicht geklappt hat. Sein Umfeld habe ihn immer mitgetragen und unterstützt.

„Jeder hat bestimmte Werte im Leben“, sagt Eisler, „einer meiner Werte ist, dass Arbeit wie ein Spiel sein muss, herausfordernd und mit Spaß, dann engagiere ich mich mit 1000 Prozent“. Es ist mit diese Herangehensweise, warum sich Eisler heute im Silicon Valley wohler fühlt als in Österreich und gar nicht daran denkt, zurückzukehren. Während seiner Zeit in Kalifornien lernte er den bekannten Mehrfach-Gründer Keith Teare kennen, der gerade mit seinem neuesten Start-up just.me beschäftigt ist. Ihn fragte er, ob er denn keine Angst habe, dass das Start-up scheitern könne? „Er hat mir geantwortet: Der Standardfall ist das Scheitern, Erfolg ist die Ausnahme.“ Und dass man auch nach einem Scheitern mit erhobenen Hauptes vom Feld gehen könne. Dementsprechend schwer fällt es Eisler heute, wenn er in Österreich zu Besuch ist und die Menschen ihn mit leidvollem Gesichtsausdruck fragen, wie es ihm und seiner Familie nun gehe. „Wir sind als Familie in Kalifornien sehr zusammengewachsen durch das neue Umfeld, ich habe wertvolle Erfahrungen gesammelt und momentan mehr Zeit für meine Familie als früher, wird sind sehr glücklich.“

„Jeder sollte, bevor er gründet, ins Silicon Valley reisen“

Eine Zeitlang habe er mit dem Gedanken gespielt, als Mitarbeiter bei just.me einzusteigen. Diesen Gedanken hat er aber wieder verworfen: „Ich habe festgestellt, dass ich einen echten DNA-Fehler habe: Ich kann nur Teamleader sein, muss die Dinge selbst in die Hand nehmen. Mit dieser Behinderung bin ich leider unvermittelbar“, lacht er. Dinge selbst in die Hand nehmen wird er nun bei seiner nächsten Etappe, wenn er ab September als “Head of Special Projects” bei der Kreativ-Plattform Talenthouse.com anfängt und dafür nach West-Hollywood umzieht – wenn auch nicht als Gründer.

Was Eisler der deutschen und österreichischen Gründerszene wünscht, ist auf den ersten Blick überraschend, weil es zunächst gar nichts mit Gründen zu tun hat: ein verpflichtendes Auslandsjahr im Bildungsweg. Solch ein Auslandsjahr sollte unbedingt gefördert werden, findet er: „Wer längere Zeit im Ausland war, kommt als anderer Mensch zurück, ist reifer, offener, toleranter und kann größere Zusammenhänge erkennen.“ Er selbst wünscht sich, dass er vor der Gründung von Wappwolf ins Silicon Valley gereist wäre – damit hätten sie einiges an Zeit und Geld gespart, ist er heute überzeugt. Eine Sache, die er auch anderen Start-ups rät: „Man sollte nicht erst rüber gehen, wenn man Geld einsammeln will. Es ist gut, den Geruch des Silicon Valleys einzuatmen, bevor man ein Start-up gründet.“ Denn noch immer sei dies der beste Ort um zu realisieren, ob die eigene Idee etwas taugt und wie man sie dann am besten umsetzt. Dann könne man sie ruhig in Deutschland bauen. Oder in Österreich.

Im Fokus: Infos über Start-ups, die es nicht mehr gibt, finden Sie in unserem Special Offline

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Yvonne Ortmann

Seit Mai 2009 schreibt Yvonne für deutsche-startups.de Gründerportraits, Start-up-Geschichten und mehr – ihre besondere Begeisterung gilt Geschäftsideen mit gesellschaftlich-sozialer Relevanz. Sie tummelt sich auch im Ausland – immer auf der Suche nach spannenden Gründerpersönlichkeiten und Geschäftsideen.