Disruptive Innovation – Quantified Self ist die bittere Pille für die Pharma-Industrie

Der Gesundheitsmarkt ist deshalb für Start-ups interessant, da dieser Markt (und seine Segmente) viel Potential für intelligente und innovative Lösungen bietet. Denn die bisherigen Ansätze lösen die Probleme scheinbar nicht. Das zeigen die […]
Disruptive Innovation – Quantified Self ist die bittere Pille für die Pharma-Industrie
Freitag, 7. September 2012VonMalte Prien

Der Gesundheitsmarkt ist deshalb für Start-ups interessant, da dieser Markt (und seine Segmente) viel Potential für intelligente und innovative Lösungen bietet. Denn die bisherigen Ansätze lösen die Probleme scheinbar nicht. Das zeigen die Gesundheitsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (Stand März 2012), über die deutsche-startups.de berichtete: Gesamtausgaben im Jahr 2011 gleich 179,61 Milliarden Euro – davon ca. 16% bzw. 29,06 Milliarden Euro für Arzneimittelkosten. Dabei ist die Wirkung von Arzneimitteln in vielen Fällen ungewiss und hat gar keine lösende Wirkung. Clayton Christensen, Godfather of “disruptive technologies“, zitiert dazu die “Patient response rate to a major drug in selected categories of therapy” in seinem Buch “The  Innovator’s Prescription“.

Hier ein Auszug:

  • Nur 52% der untersuchten Patienten reagieren auf eine Medikamententherapie im Bereich akuter Migräne (migraine (acute))
  • Nur 50% der untersuchten Patienten reagieren auf eine Medikamententherapie im Bereich vorbeugender Migräne (migraine (prophylaxis))

Doch die Pharmaindustrie scheint überzeugt von der Kraft der Medikamente. Laut aerzteblatt.de investierten die drei großen deutschen Pharmaunternehmen:

  • Bayer 1,847 Milliarden Euro in 2009
  • Merck 1,84 Milliarden Euro in 2009
  • Boehringer Ingelheim 2,1 Milliarden Euro in 2008

in die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln. Aber wofür? Dem Patienten helfen die Ergebnisse häufig nicht. Christensen beschreibt den Kern des Problems in der Unfähigkeit die Ursache für eine Störung präzise zu diagnostizieren (” [..]a siginifcant reason lies in our inability to precisely diagnose disorders such as those listed above based on their actual root causes[..]”).

Und jetzt kommt Quantified Self!

Quantified Self ist eine Bewegung, die aktiv mit dem eigenen Zustand umgeht. Woraus der aktive Umgang mit Veränderungen der eigenen Physis und Gesundheit folgt. Diese Geisteshaltung steht diametral dem bisherigen Gesundheitsdenken gegenüber:

  • Passive, klassische Geisteshaltung:
    Patient geht zum Arzt; Arzt macht Diagnose; Arzt verschreibt Medikament; Patient nimmt Medikament; Patient vertraut darauf, dass es hilft
  • Aktive, disruptive Geisteshaltung:
    Patient ist sich seines Körpers bewusst und kennt seinen Zustand; Patient kann Veränderungen einschätzen; Patient handelt aktiv anders, um Probleme zu lösen; Patient entscheidet, ob Arztbesuch und Medikamente tatsächlich notwendig sind

Quantified Self ist ein Netzwerk aus Nutzern und Anbietern von Diagnosetools, die sich für das Wissen über sich selbst interessieren, indem sie sich selbst vermessen und dieses Wissen untereinander austauschen.

Gary Wolf, einer der Gründer der QS Bewegung, beschreibt in diesem TED Vortrag die Ursachen, die zum Gesellschaftstrend Self-Tracking führten:

  • Verändertes soziales Verhalten (Twitter, Facebook, Statusmeldungen)
  • Verbesserte Performance von Smartphones und biometrischer Sensoren
  • Einfache Nutzung von Self-Tracking-Technologien
  • Gesunkene Preise, die die Diagnose-Technologien “für jeden” erschwinglich machen
  • Hohe Ergebnisqualität und somit detaillierte Diagnosedaten, mit denen sich substantielle Aussagen treffen lassen

Anwender, Anbieter, Entrepreneure tauschen sich über “Quantified Self blog and community site” aus, treffen sich regelmäßig auf “Quantified Self Show&Tell meetings” und einmal järhlich findet die “Quantified Self Conference” statt.

Die Deutsche QS Community organisiert sich über www.qsdeutschland.de, wo auch die nächsten QS Treffen angekündigt werden.

Das Dilemma der Pharmafirmen

Die weltweite QS Bewegeung wird allmählich immer größer und wird den Gesundheitsmarkt radikal verändern. Die Pharmafirmen sind hilflos und stecken in einem Dilemma: Sie sind extrem erfolgreich. Das zeigt der Vergleich von Forschungsetat und Nettogewinn (Folie 9, “Arzneimittelmarkt in Deutschland” von Jan Zeidler in “Übung zu Krankenversicherung und Gesundheitsökonomie”). Trotzdem können sie “self-tracking” nicht. Als Arbeitsgrundlage für die Ursache liefert Clayton Christensen die fünf Prinzipien des Versagens in seinem Buch “The Innovator’s Dilemma“:

Prinzip 1: Unternehmen sind in der Verteilung von Ressourcen von ihren Kunden und Investoren abhängig
Die Kunden der Pharmafirmen sind vor allem Ärzte und Apotheken. Die wollen Arzneimittel verkaufen. Denn die haben Patienten bzw. Kunden, die Arzneimittel verschrieben haben wollen (passiver Umgang mit Gesundheit). Pharmafirmen können nicht auf “self-tracking” setzen. Denn ihre Kunden bzw. die Kunden ihrer Kunden wollen kein “self-tracking”.

Prinzip 2: Kleine Märkte schaffen nicht das Wachstum, das große Unternehmen brauchen
Pharmafirmen müssen wachsen. Investoren fordern “Wachstumsstories” und die Mitarbeiter wollen sich “weiterentwickeln”. Das geht nur, wenn die Pharmafirmen wachsen. Nischenmärkte, wie z.B. “self-tracking”, erfüllen nicht die geforderten Wachstumsziele.

Prinzip 3: Märkte, die es nicht gibt, können nicht untersucht werden
Pharmafirmen geben viel Geld für Marktforschung aus. Eine Aussage über den Markt von Morgen ist essentiell, um die Investition eines hohen dreistelligen Millionenbetrages zu rechtfertigen. Nur: die Zukunft kann nicht vorausgesagt werden. Zwar sind die Modelle der Analysten umfangreich, komplex und detailliert. Doch ein Nischenmarkt bleibt in ihrer Logik unberücksichtigt.

Prinzip 4: Die Stärken einer Organisation sind gleichzeitig ihre Schwächen
Pharmafirmen sind erfolgreich, weil sie alles richtig machen. Organisation, Mitarbeiter, die Art und Weise, wie investiert wird, hat sie groß gemacht. Das wiederum ist ihre Schwäche. Denn ihre Geisteshaltung passt nicht zu der neuen “self-tracking” Bewegung, die zunehmend die gesellschaftliche Geisteshaltung verändert.

Prinzip 5: Die angebotene Leistungsperformance übersteigt die nachgefragte Leistungserwartung
Es werden immer ausgefeiltere Verfahren zur Therapie entwickelt. Die Zulassungsverfahren und -prozesse werden dafür ebenfalls immer aufwendiger, denn mit den zunehmend komplexeren Verfahren werden die Nebenwirkungen ebenfalls komplexer.  Der Patient will gesund werden und löst mit einem bestimmten Mittel die Störung, ruft damit aber andere Störungen hervor.

Quantified Self ist eine spannende Bewegung, die unglaublich viel Potential für Innovationen und Veränderungen bietet. Quantified Self ist disruptiv und aus Quantified Self werden die neuen Start-Ups entstehen, die den Gesundheitsmarkt radikal verändern.

Foto: istockphoto

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