“Ich zahle gerne mehr” – Ein offener Brief von Ehssan Dariani zum Anti-Angel-Gesetz

Als ich am Donnerstag den Artikel „Steuervergünstigungen für Business Angels sollen fallen: Die Gründerszene läuft Sturm“ auf deutsche-startups.de las, traute ich meinen Augen kaum. Ehrlich gesagt: Ich war abgestoßen und es kam Wut […]

Als ich am Donnerstag den Artikel „Steuervergünstigungen für Business Angels sollen fallen: Die Gründerszene läuft Sturm“ auf deutsche-startups.de las, traute ich meinen Augen kaum. Ehrlich gesagt: Ich war abgestoßen und es kam Wut in mir auf.

Aussagen wie „Schlag ins Gesicht von Gründern“, „Gesetzesentwurf wirft uns Jahrzehnte zurück“ (was war die Internetszene damals eigentlich: Die Fax-Szene?), „Exiterlöse auf den Privatkonten der Investoren landen und dort versauern“ sind blanker Zynismus. Hat da jemand im ersten Semester VWL/BWL nicht aufgepasst?

Ich war fassungslos und habe noch während ich im Auto saß meinem Unmut auf Facebook Ausdruck verliehen (natürlich nicht während der Fahrt). Ist das zu fassen? Welch Hysterie, welch kreischender Ton! Gepaart mit billigster Polemik und Falschbehauptungen von studierten Wirtschaftsabsolventen. Das alles wegen einer möglichen Steuererhöhung für einen Teil der Einnahmen der Super-Reichen?

Gemeinwohl? Gerechtigkeit? Verantwortung?

Ja, ich betrachte es als meine soziale Pflicht als Spitzenverdiener und Vermögender einen Teil zur Finanzierung des Gemeinwohls beizutragen. Ich verstecke hierzu mein gern praktiziertes Profitstreben in Form von Investments auch nicht als Wohltat – wie manch anderer.

Wer, wenn nicht die sieben- bis neunstellig vermögenden – euphemistisch und fast selbstgefällig sich selbst Engel nennenden – Millionäre sollen in unserer Gesellschaft sonst für die Schwachen und die drückende Finanzierungslast in diesem Land aufkommen, etwa die Rütli-Schüler?

Ich habe weder Offshore-Konten noch ein Bankkonto in der Schweiz. Anders als viele meiner Engel-gleichen Kollegen in der Gründerszene. Mehr Steuern? Ja, ich zahle gerne mehr, falls es notwendig ist. Und es ist notwendig! Aber bitte vom Staate effizient eingesetzt und anreizkompatibel verteilt an förderungswürdige und sozial schwache Individuen, Einrichtungen und Sektoren.

Ich selbst war einmal Transferleistungsempfänger und Bafög-Studi. Und alles andere als ein Erbe aus gemachtem Hause mit spiegelglattem Lebenslauf und Sozialleben.

Das macht es wohl für mich noch befremdlicher zu sehen, wie „Super Rich Kids“ und BWLer aus Privatschulen eine Steuererhöhung in dieser schweren, europäischen Finanz-Krise als nahen Untergang Deutschlands darstellen und ihre eigene Profitlust als Wohltat zu kaschieren versuchen – in einer schlicht kafkaesken PR-Show.

Leidet die Start-up-Szene Finanznot? Die Meinung vieler ist eher, dass wir es mit einer Finanzierungsblase zu tun haben. Es gibt oft zu viel Geld, zu absurden Bewertungen. Die Start-up-Valuationen sind bei bloßen Powerpointpräsentationen, ohne Proof-of-Concept oder Prototyping, schon nicht selten auf rund drei Millionen Euro gestiegen. Zum Vergleich: studiVZ war 2006 mit circa 300.000 Euro bewertet – selbst als ich bereits einen Prototypen hatte. Sogar mit Traction und Viralität lag die Bewertung der Angel-Runde im Juni 2006 – bei aus heutiger Sicht absurd niedrigen – 1,9 Millionen Euro (pre-money).

In Frankreich ist gerade eine neue Reichensteuer von 75 % in der Diskussion. Im neoliberalen, sehr Investoren freundlichen Großbritannien führten soziale Spannungen schon zu bürgerkriegsähnlichen Strassensschlachten. Ist Großbritannien ein Vorbild?

Ich habe vor Vollendung meines 30. Geburtstags einen siebenstelligen Betrag an Steuern bezahlt. In Berlin. Ich habe seit meinem 30. Geburtstag erneut im siebenstelligen Bereich Steuern bezahlt. Wieder in Berlin. Und nirgends lieber! Manchmal habe ich sogar ein wenig gespendet, wie beispielsweise einen gebrauchten Krankenwagen für ein afghanisches Frauenkrankenhaus. Die Steuern zahle ich auch in Zukunft mit großer Selbstverständlichkeit. Ohne je ein Dankeschön zu hören oder von Klaus Wowereit ein Handshake zu erhalten.

Im Gegenteil: Ich ertrage gerne die gelegentlichen Pöbeleien und schiefen Blicke dafür, dass ich im Prenzlauer Berg mit 31 Jahren meinen ersten Wagen gekauft habe: Einen britischen Sportwagen. Das ist OK. Ich bin für Marktwirtschaft und Profitlust. Aber auch für die Verantwortung der finanziell Stärksten. Ich zahle Steuern in Berlin, betätige mich still ein wenig sozial und versuche die Welt in meinem Sinne ein wenig besser zu machen: Aufgeklärter, säkularer und toleranter. Dafür nehme ich auch mal Missgunst und Hohn in Kauf.

Ich weiß es zu schätzen, dass ich ohne die Förderung und die tolle Infrastruktur Europas es wohl viel schwieriger, wenn überhaupt, zu einem finanziell privilegierten Leben gebracht hätte.

Umso mehr möchte ich meine sehr geschätzten Freunde aus der Gründerszene dazu aufrufen darüber zu reflektieren, wie zynisch und roh es bei den „unteren“ 99% der Gesellschaft ankommt, wenn Mittzwanzigjährige mit zig Millionen Euro auf dem Konto offen dafür lobbyieren doch ja nicht ein wenig mehr Steuern für unsere Solidargemeinschaft zahlen zu müssen.

Mit viel Gefühl im Bauch, und besten Wünschen, Investor und Mensch (und sicher kein Engel),

Ehssan Dariani
Berlin, 10. August, 2012

Zur Person
Ehssan Dariani gründete 2005 die Studenten-Community studiVZ. In kürzester Zeit entwickelte sich das Netzwerk zu einem echten Nutzermagneten. Im Januar 2007 übernahm das Medienhaus Georg von Holtzbrinck studiVZ. Seitdem ist Dariani als Investor tätig – er war unter anderem 2007 an der Gründung von brands4friends beteiligt und begleitete die Firma als Aufsichtsrat bis zum Exit an eBay im Januar 2011.

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