Echtzeit Berlin – Externe Finanzierung vs. Bootstrapping

Unsere Veranstaltung Echtzeit Berlin am gestrigen Mittwoch stand unter dem Motto: Externe Finanzierung vs. Bootstrapping. Als Redner konnte deutsche-startups.de Andreas Haug von eVenture Capital Partners und Sebastian Fiebiger, Geschäftsführer von Softclick und Cynomic […]

Unsere Veranstaltung Echtzeit Berlin am gestrigen Mittwoch stand unter dem Motto: Externe Finanzierung vs. Bootstrapping. Als Redner konnte deutsche-startups.de Andreas Haug von eVenture Capital Partners und Sebastian Fiebiger, Geschäftsführer von Softclick und Cynomic Internet, verpflichten. Nach den Vorträgen haben wir dem Duo in ihre Redemanuskripte geschaut. Diese dokumentieren wir hier ungekürzt.

Externe Finanzierung (Redemanuskript von Andreas Haug)

Ausschlaggebend für die Entscheidung eines Start-ups, ob eine externe Finanzierung oder ein Bootstrapping für den Unternehmensaufbau zu wählen ist, sollte in erster Linie eine unvoreingenommene, primär sachorientierte Basisanalyse sein. Dabei sollten u.a. folgende Aspekte bedacht werden:

* Welche persönlichen Ziele verfolgt das Gründerteam mit seinem Vorhaben? Welche Restriktionen, Anforderungen ergeben sich daraus ?
* Was sind die Spezifika und Perspektiven des Geschäftsmodells ?
* Sind Finanzmittel ein kritischer Erfolgsfaktor ? Wenn ja, in welchem Umfang und in welcher Unternehmensphase?
* In welchem Markt- bzw. Wettbewerbsumfeld bewegt sich das Unternehmen ?
* Welches Kompetenz- bzw. Leistungsprofil hat das Team? Ist eine Teamveränderung/-ergänzung absehbar ? Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Zeithorizont ?

Der Aufbau eines nachhaltig erfolgreichen Unternehmens setzt voraus, dass die Gründer/Gesellschafter ihrem Unternehmen das “Recht auf eine eigene, von Ihnen unabhängige Identität/Entwicklungsperspektive” zubilligen. Dies beinhaltet u.a. auch den “Best Ownership”-Gedanken konsequent umzusetzen: Die optimale Funktion und Zusammensetzung der Gesellschafter kann sich im Zeitablauf ändern. Die Aufnahme strategischer Partner oder Finanzinvestoren kann ebenso eine solche notwendige Veränderung sein, wie eine Umstrukturierung des Management-Teams.

Die Frage nach der Finanzierungsform sollte sich nicht nach dem kurzfristigen Bedarf sondern nach den langfristigen Perspektiven des Unternehmens richten:

* Kann eine langfristige Zielkongruenz mit Finanzinvestoren bzw. strategischen Investoren im Gesellschafterkreis gewährleistet werden?
* Wie sehen mögliche “Exit”-Szenarien aus?
* Besteht Bedarf an Sparring, Know How-Transfer, strategischer Vernetzung?

Anhand der Überlegungen zur richtigen Finanzierungsstruktur lassen sich oftmals die für den Unternehmenserfolg zentralen Fragen ableiten:

* Wie überzeugt ist das Gründerteam von sich und dem Geschäftskonzept?
* Möchte ich einen kleineren Anteil an etwas Großem oder bevorzuge ich einen großen Anteil an etwas Kleinem, aber Eigenen?
* Kann ich den Unternehmenserfolg aus eigener Kraft herbeiführen oder bedarf ich der Unterstützung Dritter? Wenn ich Unterstützung benötige, wann und durch wen?
* Will ich als Gründer Risiken begrenzen oder Chancen nutzen? In anderen Worten: Glaube ich, dass ich – mit den richtigen Mitteln ausgestattet – für alle Beteiligten einen tatsächlichen Mehrwert schaffen kann, den ich gerne teile, oder will/muss ich lediglich meine Verlustrisiken sozialisieren?
* Bin ich bereit zu geben, was ich von anderen verlange? In anderen Worten: Die Aufnahme von Investoren setzt die Bereitschaft/Fähigkeit voraus, eine Partnerschaft “tatsächlich zu leben”. Dies erfordert Teamfähigkeit, Toleranz, Transparenz …

Zur Person
Andreas Haug, Jahrgang 1963, studierte Betriebswissenschaften an der European Business School in Oestrich-Winkel, Paris und London. Erfahrungen als Berater sammelte er durch seine Arbeit für die infoMedia Group, bei Consulting Trust und MediaConsult. Die Industrie-Perspektive kennt er durch seine Arbeit für Bertelsmann, Aral und ThyssenKrupp. Seit 2008 ist Haug Geschäftsführer von eVenture Capital Partners aus dem Hause Otto.

Bootstrapping (Redemanuskript von Sebastian Fiebiger)

Hat man die Berichterstattung der letzten zwei Jahre zum Thema Internet-Startups verfolgt, gewinnt man beinahe zwangsweise den Eindruck, dass die Begriffe Start-up und Venture Capital eine untrennbare Symbiose führen. Dabei sind die meisten Internetgründungen alles andere als kapitalintensiv. Und gerade junge Gründerteams sollten sich gut überlegen, ob sie sich einen “zusätzlichen Esser” an den Tisch holen.

Als Gründer muss man wissen, dass eine Kapitalisierung über das Eigenkapital die teuerste Variante der Unternehmensfinanzierung ist. Zu den Renditeerwartungen befragt, antwortete etwa Matthias Brix von Neuhaus Partners: “VCs sind da ganz einfach gestrickt: Wir wollen in vier bis fünf Jahren unseren Einsatz verzehnfachen. Wir sind nun mal keine Philanthropen.” Bricht man das auf einen jährlichen Effektivzins herunter, landet man bei rund 60 %. “Geringfügig” mehr als bei einer Fremdkapitalfinanzierng über einen Kredit.

Dem Druck dieser Renditeerwartung unterwirft ein finanzierter Gründer sein Handeln und das hat Folgen. An die Stelle einer langfristigen, strategischen Planung zur Realisierung der Vision treten definierte Meilensteine, operative Hektik und das Schielen auf den möglichst schnellen, gewinnbringenden Exit.

Und richtig schlimm wird es, wenn es mal ganz und gar nicht so läuft, wie man sich das in den wildesten Businessplan-Fantasien ausgemalt und den Investoren verkauft hat. Dann wird aus dem psychischen Druck schnell tatsächlicher.

Investoren versuchen dann häufig mit Nachdruck Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Und spätestens jetzt ersetzt Kapital Hirn. Denn eines hat sich in der Vergangenheit ganz klar gezeigt: erfolgreiche Unternehmer sind ganz überwiegend verdammt schlechte Investoren und ausserhalb ihres eigenen Businessmodells ziemlich verloren. Darum werden sogenannte “Serial Entrepreneurs” auch so gerne herum gereicht – weil sie die Ausnahme und nicht die Regel sind.

Auf den Markt wirken Venture Capital Investments als private Subventionen. Gerade die massiven VC-Interventionen der letzten zwei Jahre haben zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen im deutschen Internetmarkt geführt. Eine Horde von VC gestützen, hoch-defizitären Social Networks hat beispielsweise den alteingesessenen Communities das Leben schwer gemacht. Auch wenn viele der neugestarteten Projekte erfolglos waren und vermutlich noch in diesem Jahr den Gang zum Insolvenzgericht antreten werden, ist es doch die schiere Masse, die den Markt belastet und die Fragmentierung erhöht.

“Venture Capital fördert Innovationen” ist ein beliebtes Pro-Argument, wenn es um Sinn oder Unsinn von Finanzierungsmassnahmen geht. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Noch nie gab es im deutschen Internet so viele US-Copycats wie in den vergangenen zwei Jahren. Das ist selbst jenseits des Teichs, wo man für gewöhnlich nur selten den Blick über den tektonischen Plattenrand wagt, nicht unbemerkt geblieben. So titelte Techcrunch süffisant “Web 2.0 in Germany: Copy/Paste Innovation or more?”. Die Ursache ist naheliegend. Ganz im Gegensatz des eigentlichen Wortsinns verabscheuen Risikokapitalgeber nämlich das Risiko. Die Frage nach dem “Proof of Concept” ist bei einem Copycat eben souveräner beantwortet.

Im Ergebnis funktioniert es oft für beide Seiten – Gründer und Investoren – schlechter als ohne die verhängnisvolle Geldehe. Von den Traumrenditen der 1000-%-Boys bleibt meist nicht mehr als der maue Zins, den auch die Sparkasse um die Ecke bietet. Nur eben zu einem deutlich erhöhten Risiko. So hat Harvard-Professor Joshua Lerner in einer jüngst im Forbes Magazin veröffentlichten Studie, die Performance von Venture Capital Fonds bis zurück in das Jahr 1976 untersucht. Mit einer ernüchternden Bilanz: Im Durchschnitt konnten die Fonds nur eine magere, jährliche Rendite von 5 % erzielen. Im Zeitraum seit 2000 war die Performance sogar negativ.

Dass Start-ups auch ohne externe Kapitalaufnahme zu einer respektablen Größe heranwachsen können und ganz sicher nicht zum Kleinkrämer-Dasein verdammt sind, zeigt eine Reihe deutscher Erfolgsstories. So können sich bspw. Andreas Kleiser und Torsten Wenniges von der Internet-Holding Virtual Minds AG heute über zweistellige Millionenumsätze freuen, die sie ohne fremdes Kapital erwirtschaftet haben. Die beiden Gründer sind anfangs nebenbei noch ihren alten Jobs nachgegangen und haben ihr Erspartes eingesetzt. Das Unternehmen war sehr schnell profitabel. Auch Jens Kammerer und sein Team von Kwick.de erwirtschaften mit ihrer Community Millionenumsätze und das ebenfalls ohne einen Cent externe Kapitalaufnahme. Bei der Berliner Transparent Gruppe sind Umsätze in Millionenhöhe auch kein Wunschdenken mehr. Das auf Online-Finanzservices spezialisierte Unternehmen ist seit seiner Gründung im Jahr 2004 ohne externe Mittelzuflüsse gewachsen und expandiert mit Dodo.com inzwischen in den Reisebereich.

Mein Tipp an junge Gründer: Einfach machen und loslegen! Viele Gründer, die auf der Suche nach Kapital von einer Networking-Veranstaltung zur nächsten tingeln, vernachlässigen ihr eigentliches Geschäft und werden von den “Fricklern im Wohnzimmer” rechts überholt. Das Einwerben und Administrieren von Investitionskapital bindet häufig Ressourcen, die besser in das Produkt investiert wären.

Zur Person
Sebastian Fiebiger, Jahrgang 1976, ist Geschäftsführer von Softclick sowie Cynomic Internet. In beiden Unternehmen koordiniert er die Bereiche Redaktion & Marketing. Sein erstes Unternehmen gründete Fiebiger im Jahre 1998: die Fiebiger & Stöber GbR – eine Internetagentur mit Schwerpunkt in der Softwareentwicklung. Die Geschäftsbereiche Portale (Softclick) und “Entwicklung” (Softclick-IT) wurden Ende 2004 in eigenständige Unternehmen ausgegründet.

Und was ist Ihre Meinung? Wir freuen uns über Kommentare.

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.