Usability – was Start-ups selbst können! – Gastbeitrag von Patrick Roelofs von eparo, Teil 1

Nutzerwas? Diese Frage stellen sich viele, obwohl der Begriff Usability längst in das Vokabular junger Start-ups gefunden hat. Der Prozess hingegen, der dazu führt, dass eine Webapplikation konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer […]

Nutzerwas? Diese Frage stellen sich viele, obwohl der Begriff Usability längst in das Vokabular junger Start-ups gefunden hat. Der Prozess hingegen, der dazu führt, dass eine Webapplikation konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer ausgerichtet wird, scheint weitgehend unbekannt. Diesen Prozess nennt man User Centered Design (nutzerzentriertes Design), kurz UCD.

Dabei kann insbesondere für junge Internetfirmen das Wissen über die Methoden und Möglichkeiten des UCD wertvolle Schützenhilfe bei der Applikationsentwicklung leisten. Denn der Weg von der Idee zur fertigen Webapplikation ist nicht ganz einfach zu bewerkstelligen. Daher hat deutsche-startups.de Patrick Roelofs, Gründer und Geschäftsführer der User Experience Agentur eparo gebeten, erste wertvolle Tipps zu geben.

Auch während dieser Serie gibt es wieder die Möglichkeit, unserem Experten Fragen zu stellen, die bereits zum jetzigen Zeitpunkt entweder in den Kommentaren hinterlassen oder per E-Mail an Christina Cassala geschickt werden können.

Den Nutzer im Auge behalten

Zu oft steht die Technologie im Vordergrund. Welchen konkreten Nutzen jedoch die User von einer Webapplikation oder einer Funktion haben und ob die Umsetzung den Erwartungen entspricht, wird zu selten kritisch hinterfragt. Ernüchterung tritt spätestens dann bei den Unternehmen ein, wenn plötzlich negatives Nutzerfeedback in der Betaphase gesammelt wird. Oder noch schlimmer: Nutzer springen aufgrund mangelnder Usability ab und suchen sich andere Orte im Netz, die ihren Anforderungen entsprechen.

Wie im echten Leben gilt im Web: “Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck.” – die Usability ist neben einer guten Geschäftsidee ein sehr entscheidender Baustein einer ganzheitlichen Produktstrategie.

Usability erhöht Wettbewerbsvorteil

Eine kürzlich erschienene Studie der Fachgruppe E-Commerce des BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft) bescheinigt der Usability sogar, der zentrale Faktor für Erfolg oder Misserfolg zu sein. Eine an Anwendererwartungen und -bedürfnissen ausgerichtete Optimierung von Produktinformationen auf E-Commerce Websites kann, so die Studie, Umsatzzuwächse von über 200 % generieren.

Usability führt auf jeden Fall zu deutlich mehr Kundenzufriedenheit – in Zeiten homogener Webangebote ein klarer Wettbewerbsvorteil. Die beiden Aspekte, Umsatzzuwachs und Kundenzufriedenheit, führen dazu, dass viele Unternehmen eine optimale Usability als Selbstverständlichkeit betrachten. Sich auf die Gewohnheiten, Erwartungen und Bedürfnisse der Kunden einzustellen ist heute kein “Add on” mehr. Diese ganzheitliche Produkt- und Servicephilosopie wird auch gerne als “User Experience” bezeichnet. Vor allem die großen Marken haben verstanden, welchen wichtigen Bestandteil die User Experience innerhalb der Markenbotschaft hat und bauen daher verstärkt große Usability Teams auf.

Was User Centered Design ist

Wikipedia Deutschland sagt dazu: “Die nutzerorientierte Gestaltung zielt darauf ab, interaktive Produkte so zu gestalten, dass sie über eine hohe Gebrauchstauglichkeit (Usability) verfügen. Dies wird im Wesentlichen dadurch erreicht, dass der (zukünftige) Nutzer eines Produktes mit seinen Aufgaben, Zielen und Eigenschaften in den Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses gestellt wird.”

Nutzerzentriertes Design geht, nimmt man es genau, sogar noch weiter. Der Nutzer wird nicht nur in den Mittelpunkt gestellt, sondern auch aktiv in die unterschiedlichen Phasen des Entwicklungsprozesses einbezogen. Dadurch ist es möglich Erwartungen und das Nutzungsverhalten zu analysieren und diese Erkenntnisse in der Webapplikation zu berücksichtigen.

Die drei Phasen des User Centered Designs

Vereinfacht gliedert sich der UCD Prozess in drei Phasen, auf die wir in den nächsten Wochen im Detail zu sprechen kommen:

1. Analyse
In der Analysephase werden die Anforderungen an eine Webapplikation zusammengetragen. Dabei werden Erwartungshaltungen, Gewohnheiten und der Nutzungskontext untersucht. Beispielweise, ob es in der echten Welt (u.a. in einem echten Kaufhaus) Beispiele für Nutzungssituationen gibt, aus denen man Rückschlüsse für die Entwicklung der Webapplikation ziehen kann. Aber auch die so genannten “Business Requirements”, also die Anforderungen der Unternehmen, werden in dieser Phase genau ermittelt. Denn die Frage wie Geld verdient werden soll und was die Webapplikation dafür leisten muss (bspw. Werbeplätze u.ä.), spielt auch beim UCD eine zentrale Rolle.

2. Design
Zunächst sei gesagt, das “Design” im UCD bezieht sich nicht nur auf die visuelle Gestaltung. Vielmehr geht es darum, das gesamte Nutzungserlebnis zu “gestalten”.

Hat man also die Daten aus der Analysephase zusammengetragen und interpretiert, kann damit begonnen werden eine Produktstrategie, sowie das Konzept und das User Interface zu entwickeln. Mit den Arbeitsergebnissen dieser Phase, wie beispielsweise Wireframes oder interaktiven Prototypen, ist es sehr gut möglich, erste Usability Tests durchzuführen.

3. Test
Ist der interaktive Prototyp entwickelt, kann relativ unkompliziert ein Usability Test durchgeführt werden. Diese Tests liefern auch schon in den frühen Entwicklungsphasen wertvolle Erkenntnisse darüber, was funktioniert oder noch optimiert werden muss. Nach dem Test können die Ergebnisse wieder in das Konzept einfließen und werden erneut getestet.
Dieses kontinuierliche Verbessern in mehreren Schritten bis zur endgültigen Marktreife (bzw. Betaphase) ist eine Besonderheit der UCD-Prozesses. Man spricht dabei auch von einem iterativen Entwicklungsprozess.

Die Vorteile dieser Methodik liegen auf der Hand:
1. Nutzer bekommen was sie brauchen/wollen
2. Der Entwicklungsprozess wird schneller und auch günstiger

Von der Idee zur (benutzerfreundlichen) Webapplikation: Drei typische Probleme

Problem 1: Unsere Technologie kann das, also bauen wir das auch ein.
Gerade in stark IT getrieben Projektteams kommt es häufig vor, dass das technologisch Machbare nicht klar von einem sinnvollen Funktionsumfang getrennt wird. Ob Nutzer ein Feature tatsächlich benötigen, wird häufig nicht genug kritisch hinterfragt. Je mehr “innovative” Funktionen eine Webapplikation zu haben scheint desto besser. Sicher ist der Innovationsdruck hoch, aber Beispiele wie die Google-Suche zeigen doch, das einfache Lösungen ein guter Weg sein können. Auch, um sich zu differenzieren.

Problem 2: Ich habe eine Idee, macht mal schnell ein Design.
Die menschliche Natur mag “schöne Bilder”. Gerade das scheint auch der Grund zu sein, weshalb häufig mit dem grafischen Design des User Interface zuerst begonnen wird. Aber ist das auch der strategisch richtige Weg? Nicht an genaue Business- und Nutzeranforderungen der Benutzeroberfläche zu denken, führt häufig dazu, das User Interfaces am Ziel vorbeischießen.

Problem 3: Einen Usability Test machen wir, wenn die Applikation fertig ist.
Erst nach der Fertigstellung die Applikation zum ersten Mal zu testen, kann getrost mit “Geld verbrennen” umschrieben werden. Zwar erhält man auch hier wertvolle Informationen darüber, was funktioniert und was weniger gut von Nutzern angenommen wird. Aber: Sollten die Testergebnisse sehr negativ ausfallen, können die technischen und konzeptionellen Änderungen bei einer fertigen Applikation deutlich teurer werden.

Obwohl es eigentlich relativ leicht ist, erste UCD Schritte als Start-up ohne fremde Hilfe zu gehen, wird oftmals zu viel Geld in externe Beratung investiert. Das muss nicht immer sein! Mit einigen praktischen Hilfestellungen können junge Unternehmen einige UCD-Methoden selbst sinnvoll einsetzen.

Daher beschäftigt sich Teil 2 der Serie nächste Wochen unter anderem mit der Analysephase innerhalb des UCD-Prozesses. Dort gehen wir darauf ein, welche Möglichkeiten bestehen, Anforderungen für die Applikationsentwicklung zusammenzutragen.

Zur Person:
Patrick Roelofs (33) ist Gründer und Managing Partner der User Experience Agentur eparo GmbH in Hamburg. Dort entwickelt er nutzerzentrierte Produktkonzepte für Webservices, Web 2.0 Plattformen und mobile Applikationen. Zu den Kunden von eparo gehören internationale Konzerne genauso wie auch kleine, innovative Start-ups. Vor der Firmengründung leitete Patrick Roelofs den Fachbereich Konzeption bei Tribal DDB und war als Informationsarchitekt bei Proximity Germany tätig. Studiert hat Patrick das Fach Multimedia Arts am SAE Technology College in Hamburg und Australien. Seit kurzem unterrichtet er das Fach Digitale Kommunikation an der HTK in Hamburg.

Christina Cassala

Christina Cassala, Redakteurin bei deutsche-startups.de, war schon zu ihren besten Uni- Zeiten in den 90er Jahren journalistisch tätig. Gleich nach dem Volontariat arbeitete sie bei einem Branchenfachverlag in Hamburg, ehe sie 2007 zu deutsche-startups.de stieß und seither die Entwicklungen der Start-up Szene in Deutschland mit großer Neugierde beobachtet.